Walter Nigg

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Walter Nigg (* 6. Januar 1903 in Luzern; † 17. März 1988 in Bülach) war ein Schweizer reformierter Theologe.

Leben und Werk

Walter Nigg studierte Philosophie und Evangelische Theologie an den Universitäten von Göttingen, Leipzig und Zürich. In Zürich machte er 1927 seine Dissertation über das Thema „Das religiöse Moment bei Pestalozzi“ und habilitierte 1931 mit dem Thema: Franz Overbeck. Versuch einer Würdigung. Diese beiden wissenschaftlichen Arbeiten sind ein Schritt zu einem innovativen Heiligenverständnis, das unstilisiert und frei von religiös-moralischer Idealisierung erscheint.[1]

Er war zunächst Pfarrer in Stein AR und von 1939 bis zu seiner Pensionierung 1970 in Dällikon-Dänikon.[2] 1940 wurde er zum Titularprofessor für Kirchengeschichte an der Universität Zürich ernannt. Seine Aufmerksamkeit als Kirchenhistoriker galt nicht zuletzt der Frömmigkeitsgeschichte,[3] die seinerzeit von vielen Kollegen kaum beachtet wurde.

1955 gab Nigg seine Professur auf und widmete sich fortan ganz dem Schreiben. In den 1920er-Jahren war er dem Buch Frauen der Romantik der Schriftstellerin Margarete Susman begegnet, das eine damals neue, künstlerisch-literarische Biographik vertrat. Nigg übernahm diese Methode für seine eigene Arbeit. Die in Zürich lebende Susman wurde zur „Beraterin“ und zur „Begleiterin seines literarischen Schaffens“.[4]

Nigg porträtierte in seinen Büchern viele bekannte und vergessene Gestalten aus der Geschichte des Christentums: Heilige, Denker, Künstler und Ketzer. Indem er sich Zeit seines Lebens mit dem katholischen Thema der Heiligen befasste, leistete er einen bedeutenden Beitrag im Rahmen der ökumenischen Annäherung der christlichen Konfessionen.

Pawel Florenski und Sergei Bulgakow, Gemälde von Michail Wassiljewitsch Nesterow (1917)

Die persönliche Bibliothek ging nach seinem Tod an das Institut für Ökumenische Studien der Universität Freiburg (Schweiz), wo eine Forschungsstelle zu Leben und Werk Niggs besteht. Nigg hat die Arbeiten von Pavel Florenskij und Sergei Bulgakow bereits 1925 intensiv rezipiert.[5] In seinem Buch Des Pilgers Wiederkehr[6] setzte er sich ausführlich mit dem Buch Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers auseinander – ein Buch, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts zentrale Bedeutung auch für die Imjaslavie, der Verehrung des Namens Gottes-Bewegung in der russischen Orthodoxie, erlangte. Auf diese Weise trug Walter Nigg maßgeblich dazu bei, dass das ökumenische Bestreben zu einem Schwerpunkt der Schweizer katholischen wie reformierten Theologie wurde. Diese Ökumene berücksichtigt auch die russische Orthodoxie.

Walter Nigg wurde 1949 von der Theologischen Fakultät der Universität Marburg mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

Seine rund 50 Bücher erschienen seit 1927 in verschiedenen Verlagen der Schweiz und Deutschlands (u. a. Artemis Verlag, Walter Verlag) und sind heute größtenteils vergriffen. Der Diogenes Verlag, Zürich, erwarb 1993 die Weltrechte und veröffentlicht noch heute Werke von Walter Nigg (u. a. Große Heilige und Das Buch der Ketzer).

Zitat von Walter Nigg

Den ersten Teil des Buches Die Hoffnung der Heiligen leitet Walter Nigg mit den Worten ein, dass die Menschen nicht nur vom Sterben selten redeten, sondern auch ein zweites Thema meiden würden: das der Heiligen. Über schnell „vorüberhu­schende“ Tagesaktualitäten würde des langen und breiten ge­redet, nicht aber über Heilige, denn dieses Thema scheint altmodisch zu sein. Er möchte unvoreingenommen einen Schritt auf die Heiligen zugehen, denn bei ihnen sei das Unbesprochene bedeutsamer als das viele Plattgewalzte. Im 8. Kapitel mit dem Titel „Von den Heiligen“ schreibt er:

„Auch die Versuche im wissenschaftlichen Stil, d.h. ohne persönliche Ergriffenheit geschriebener Heiligenbücher scheiden aus. Die Wissenschaft in Ehren - sie hat den Platz, der ihr gebührt. Die Geschichte der menschlichen For­schung, ihr unablässiges Ringen um die Wahrheit verdienen hohen Respekt, doch ist ihr nicht alles zugänglich. Die marxistische Wissenschaftsauffassung ist unkritische Vergöt­zung; bei ihr ist Dogmatismus an die Stelle der Erkenntnis getreten. Große Gelehrsamkeit ist an sich schätzenswert, allzu gerne aber ertrinkt in ihr der zu erforschende Heilige. Er wird in den umfangreichen Folianten kaum sichtbar. Ob­jektivität ist ein guter Vorsatz, in der Hagiographie jedoch ist sie zweitrangig, da diese nur zur Hälfte an der exakten Wissenschaft teilhat; der Rest ist religiöse Intuition und künstlerische Gestaltung. Die Frage schwebt über jedem hagiographischen Versuch: Darf ich über eine so weit über mir stehende Heiligengestalt schreiben? Bin ich dazu geeig­net, oder überfordere ich mich selbst? Die wissenschaftliche Methode versagt bei den Heiligen, weil sie sich jenseits der rationalen Behandlungsart befinden. Noch belangloser ist die tiefenpsychologische Betrachtung, bei deren Schematis­mus man das Resultat immer zum voraus weiß. Der Heilige verschließt sich der bloßen Neugierde und weiß sich vor un­verbindlichen Worten zu verstecken. Heilige waren Zeugen Gottes und fordern auch von ihren Hagiographen ein muti­ges Urteil.

Nach wie vor geht es um die Sicht des wahren Antlitzes der Heiligen. Von ihnen muss mit Ehrfurcht geschrieben werden, und selbst sie genügt noch nicht. Einzig die Liebe erahnt das Geheimnis der Heiligen. Liebe steht höher als bloße Bewunderung, und bewundert werden wollten die Heiligen ohnehin nie. Heilige sind Seinsgestalten, eine Ein­sicht, mit der man bis in ihre Mitte vorstößt. Es kommt nicht so sehr darauf an, was sie getan haben; entscheidend ist, dass sie überhaupt da waren. Ihre Werke sind unter­schiedlicher Art - primäre Bedeutung hat ihr Sein.“

Walter Nigg[7]

Rezeption

„Nigg rückt die mystischen Gestalten der Heiligen in die geistige Reichweite des modernen Menschen.“

Die Zeit, Hamburg[8]

„Den größten Teil seiner schriftstellerischen Arbeit widmete er der Heiligenschilderung. Sein Hauptwerk »Große Heilige« gilt immer noch als Meisterwerk der Gattung. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand und deren Wert als Korrektiv zur Kirche er unterstrich. Denn der Mensch, der die Nähe Gottes sucht, steht im Mittelpunkt seiner Bücher, die sich durch ihre packende und zugleich poetische Sprache, ihre Wissenschaftlichkeit und ökumenische Grundhaltung auszeichnen.“

Stephan Wunderlich Verlag[9]

„Mittels brillant geschriebener, von ökumenischem Geist geprägter Bücher führt Nigg nach und nach das ganze Spektrum christlicher Existenzmöglichkeiten vor Augen.“

Charles Linsmayer / Literatur Lexikon (Hg. Walther Killy)[10]

Schriften

  • Das religiöse Moment bei Pestalozzi. De Gruyter, Berlin/Leipzig 1927.
  • Franz Overbeck. Versuch einer Würdigung. (Beck, München 1931). Römerhof Verlag, Zürich 2009.
  • Die Kirchengeschichtsschreibung. Grundzüge ihrer historischen Entwicklung. Beck, München 1934 (Diss. theol.)
  • Geschichte des religiösen Liberalismus. Entstehung, Blütezeit, Ausklang. Niehans, Zürich 1937.
  • Kirchliche Reaktion. Dargestellt an Michael Baumgartens Lebensschicksal. Haupt, Bern 1939.
  • Martin Bubers Weg in unserer Zeit. Haupt, Bern 1940.
  • Hermann Kutters Vermächtnis. Haupt, Bern 1941.
  • Religiöse Denker. Kierkegaard, Dostojewskij, Nietzsche, Van Gogh. Haupt, Bern 1942.
  • Das ewige Reich. Geschichte einer Sehnsucht und einer Enttäuschung. Rentsch, Zürich 1944.
  • Große Heilige. Artemis, Zürich 1946.
  • Das Buch der Ketzer. Artemis, Zürich 1949.
  • Gebete der Christenheit. Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg 1950.
  • Maler des Ewigen. Meditationen über religiöse Kunst. Grünewald – Michelangelo – El Greco – Rembrandt. Artemis, Zürich 1951.
  • Vom Geheimnis der Mönche. Artemis, Zürich 1953.
  • Des Pilgers Wiederkehr. Drei Variationen über ein Thema. Artemis, Zürich 1954.
  • Der christliche Narr. Artemis, Zürich 1956.
  • Prophetische Denker. Artemis, Zürich 1957.
  • Heimliche Weisheit. Mystisches Leben in der evangelischen Christenheit. Artemis, Zürich 1959.
  • Maler des Ewigen. Band II: Moderne Ikonen. Artemis, Zürich 1961.
  • Botschafter des Glaubens. Der Evangelisten Leben und Wort. Walter, Olten 1962.
  • Glanz der Legende. Eine Aufforderung, die Einfalt wieder zu lieben. Artemis, Zürich 1964.
  • Wallfahrt zur Dichtung. Annette von Droste-Hülshoff – Jeremias Gotthelf – Nikolai Gogol. Artemis, Zürich 1966.
  • Buch der Büßer. Neun Lebensbilder. Walter, Olten 1970.
  • Der verborgene Glanz oder Die paradoxe Lobpreisung. Walter, Olten 1971.
  • Drei große Zeichen. Elias – Hiob – Sophia. Walter, Olten 1972.
  • Was bleiben soll. Zehn biographische Meditationen. Walter, Olten 1973.
  • Vom beispielhaften Leben. Neun Leitbilder und Wegweisungen. Walter, Olten 1974.
  • Heilige im Alltag. Walter, Olten 1976.
  • Don Bosco. Ein zeitloser Heiliger. Don-Bosco, München 1977.
  • Heilige ohne Heiligenschein. Walter, Olten 1978.
  • Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir (mit Karl Gröning). Propyläen, Frankfurt am Main 1978.
  • Gerhard Tersteegen: Wir sind hier fremde Gäste. Eine Auswahl aus seinen Schriften. 2. Aufl. Wuppertal 1980.
  • Große Unheilige. Walter, Olten 1980.
  • Heilige und Dichter. Walter, Olten 1982.
  • Mary Ward. Eine Frau gibt nicht auf. (Don-Bosco, München 1983). Römerhof Verlag, Zürich 2009.
  • Felix und Regula. Aneignung einer Legende. Schweizer Verlagshaus, Zürich 1983.
  • Der Teufel und seine Knechte. Walter, Olten 1983.
  • Rebellen eigener Art. Eine Blumhardt-Deutung. Quell, Stuttgart 1988.
  • Ein Wörtlein über meine Bücher und weitere autobiographische Texte. Reinhardt, Basel 2010, ISBN 978-3-7245-1713-9.

Literatur

  • Bernd Jaspert: Walter Nigg und die Kirchengeschichte. Verlag T. Bautz, Nordhausen 2017, ISBN 978-3-95948-239-4.
  • Ekkart Sauser: Walter Nigg. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 16, Bautz, Herzberg 1999, ISBN 3-88309-079-4, Sp. 1139–1140.
  • Walter Seidel: Walter Nigg – ein Leben mit den Heiligen. In: Walter Nigg: Friedrich von Spee. Ein Jesuit kämpft gegen den Hexenwahn. Bonifatius, Paderborn 1991, S. 83–106, ISBN 3-87088-654-4.
  • Eduard Stäuble: Nigg, Walter Georg. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, S. 253 f.
  • Uwe Wolff: „Das Geheimnis ist mein“. Walter Nigg – eine Biographie. TVZ, Zürich 2009, ISBN 978-3-290-17509-2.
  • Uwe Wolff: Walter Nigg. Das Jahrhundert der Heiligen. Aschendorff, Münster 2017, ISBN 978-3-402-12032-3.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Uwe Wolf: Walter Nigg – Vater der Ökumene. Kapitel 8. In: Institut für Ökumenische Studien. Abgerufen am 12. September 2024.
  2. Siehe im Artikel Dänikon (Wikipedia): „Vor 1843 bildete Dänikon als Zivilgemeinde mit dem Nachbardorf Dällikon eine politische Gemeinde. Seit der Trennung ist sie eine eigene politische Gemeinde. Die gemeinsame Schule wurde erst 1867 aufgeteilt. Die reformierte Kirchgemeinde Dällikon-Dänikon hat sich hingegen bis in die Gegenwart halten können.“
  3. Bernd Jaspert: Walter Nigg und die Kirchengeschichte. Verlag T. Bautz, Nordhausen 2017, S. 35–45.
  4. Bernhard Lang: Geschichten von Heiligen und Ketzern : Was die Theologie von Walter Nigg lernen könnte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 4. Juli 2017 (Der Artikel ist eine Rezension der Bücher von Bernd Jaspert und Uwe Wolff über Nigg aus dem Jahr 2017. Nigg habe über ein beachtliches kirchenhistorisches Programm verfügt.)
  5. Uwe Wolff: „Das Geheimnis ist mein.“ Walter Nigg – Eine Biographie. Theologischer Verlag Zürich, 2009. S. 385 f.
  6. Walter Nigg: Des Pilger Wiederkehr. Drei Variationen über ein Thema. Artemis Verlag, Zürich/Stuttgart 1954.
  7. Walter Nigg: Die Hoffnung der Heiligen. Wie sie starben und uns sterben lehren. Schwabenverlag AG, Ostfildern 1985, ISBN 3-7966-0607-5. (online)
  8. Walter Nigg bei Diogenes. Abgerufen am 6. November 2023.
  9. Walter Nigg Autorenbeschreibung des Stephan Wunderlich Verlags. Abgerufen am 6. November 2023.
  10. Walter Nigg bei Diogenes. Abgerufen am 6. November 2023.
Dieser Artikel basiert teilweise auf dem Artikel Walter Nigg aus der freien Enzyklopädie de.wikipedia.org und steht unter der Lizenz Creative-Commons Namensnennung-ShareAlike 4.0 International. Es ist dort eine Liste der Autoren einsehbar.

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