Kulturoase
Die Bezeichnung Kulturoase geht indirekt auf Rudolf Steiner (1861–1925), den Begründer der Anthroposophie, zurück. Als Antwort auf eine Frage während des sogenannten „Landwirtschaftlichen Kurses“, der vom 7. bis 16. Juni 1924 auf Schloss Koberwitz, das etwa fünfzehn Kilometer südlich von Breslau gelegen ist, stattgefunden hat, entwarf er die Vision zukünftiger kulturstiftender „Oasen auf dem Lande“ mit spiritueller Gemeinschaftsbildung.
Eine spirituelle Gemeinschaftsbildung mit Kulturwirkung war Rudolf Steiner zeitlebens ein Anliegen. Obwohl er sich persönlich sehr dafür einsetzte, konnte er jedoch bis zu seinem Tod auf keine, in seinem Sinne funktionierende Gemeinschaft blicken.
Es gab und gibt bis heute Personen bzw. Projekte, die sich um die Umsetzung seines Anliegens und der am Pfingstsonntag 1924 ausgesprochenen fünf Kernpunkte dieser Oasen der Zukunft bemühen. Viele dieser Projekte gebrauchen nicht die äußere Bezeichnung „Kulturoase“, folgen aber im inneren Sinn der Vision von Koberwitz. Für Kulturoasen im expliziten Sinn setzten sich heute einige Anthroposophen ein, z. B. Michael Birnthaler.
Als Kulturoasen bezeichnen sich in der Gegenwart einige Initiativen, die sich um Kulturentwicklung im alternativen Sinn bemühen und z. B. Konzerte, Diskussionen, Themenabende oder politische Arbeit anbieten. In den Grundideen der zahlreich gegründeten „Ökodörfer“ und „Gemeinschaften“ lassen sich einige der von Rudolf Steiner genannten fünf Punkte finden. Die Bezeichnung als „Oase“ oder „Kulturoase“ verwenden sie jedoch nicht und gehen meist auch in Bezug auf die Spiritualität und die gemeinschaftsbildenden Methoden andere Wege.
Entstehung und Inhalt der Vision
In der gesammelten Ausgabe der Werke von Rudolf Steiner (GA) ist der Begriff Kulturoase nicht aufzufinden. Dies hat den Grund, dass Rudolf Steiner über dieses Thema anlässlich eines Mittagessen gesprochen hat. Da dies außerhalb der offiziellen Vorträge geschah, wurden seine Worte damals nicht mitstenografiert. Es existieren jedoch verschiedene Notizen und Aufzeichnungen von anwesenden Personen, die über den Inhalt der Aussagen von Rudolf Steiner ein einheitliches gesamtes Bild abgeben.
Carl Graf von Keyserlingk, der zusammen mit seiner seiner Frau, Johanna Gräfin von Keyserlingk, Gastgeber für den Landwirtschaftlichen Kurs war, stellte am Pfingstsonntag 1924 Rudolf Steiner zu Tisch die folgende Frage: „Was können Sie voraussehen über die Zukunft von Deutschland?“ Steiner begann seine visionäre Antwort mit der Feststellung, dass Europa auf einem Vulkan sitzen würde, ohne es zu bemerken und er erwähnte einen aufziehenden schrecklichen Weltkrieg und die Zerstörung der mitteleuropäischen Städte.[1] Nach den Aufzeichnungen von Johanna Gräfin von Keyserlingk folgten dann die folgenden Aussagen:[2]
- „Es wird darauf ankommen, Inseln in klösterlicher Abgeschiedenheit auf dem Lande zu schaffen, in denen dann noch kulturelles deutsches Geistesleben gepflegt werden kann. Das Ausland wird dann seine Söhne und Töchter zur Erziehung dorthin schicken.“
- „Und man wird weit von einer Insel zur anderen fahren müssen.“
- „Diese Stätten liegen wie Oasen in der Wüste.“
Wilhelm Rath, der als Nicht-Landwirt am Kurs in Koberwitz teilnehmen konnte, schrieb den Eindruck nieder, dass die Antwort Rudolf Steiners keine lähmende Wirkung auf die Anwesenden ausgeübt habe, da sich die Worte an den Geistesmut der Menschen gewendet hätten. Weiter notierte er aus der Erinnerung auf:
- „So flößte er zugleich Hoffnung ein, wenn er von der Notwendigkeit sprach, stille Zentren eines neuen Geisteslebens in agrarischer Abgeschiedenheit zu begründen, von denen weithin Wirkungen ausstrahlen könnten, wenn dann die westlichen Nationen ihre Söhne und Töchter hierher senden würden.“[3]
Karl Lang erinnerte sich, dass die Oasen auf dem Lande mit einer Landwirtschaft gekoppelt sein sollten.[4]
Kernpunkte dieser Oasen nach Rudolf Steiner
Es lassen sich aus den überlieferten Erinnerungen folgende fünf Kernmerkmale dieser „Inseln“, die es zu schaffen gelte, benennen:
1. Pflege eines spirituellen Geisteslebens |
Zusammenhang mit Grundgedanken der Anthroposophie
Anthroposophische Gemeinschaftsbildung
- Persönliche Egoismen zurückstellen
- Gemeinsam spirituellen Idealismus entwickeln
- Im Seelisch-Geistigen des anderen aufwachen
Kurze Darstellung schreiben
Erste Kulturoasen
- Schloss Koberwitz durch die Bemühungen von Carl Keyserlingk, 1928 musste es verkauft werden.
- Kulturoase Loheland bei Kassel, 1912 gegründet von Hedwig von Rohden und Louise Langgard. Mit Waldorfschule, landwirtschaftlichem Betrieb und Waldorfkindergarten. Später kam ein Internat dazu.
- Schloss Siebeneichen, 1927 gegründet. Mit kulturellen Aktivitäten, Tagungen und Theateraufführungen. 1927 wurde es durch Wilhelm Rath zu eine Zentrum der Freien Anthroposophischen Gesellschaft.
Ab hier evtl. woanders einordnen:
- Heilpädagogische Lebensgemeinschaft Bürgenheim bei Frankfurt, aufgebaut von Gotthart Starke (Wandervogel und Arzt)
- Michaelshof Samats bei Lüneburg, gegründet 1985 basierend auf dem Impuls von Koberwitz.
- Musicosophia bei Freiburg, gegründet von Georg Balan. Schule des Musikhörens und Lebensgemeinschaft.
- Kulturoase Jerna? in Schweden südlich von Stockholm, ab 1935 als heilpädagogisches Heim mit Landwirtschaft, Gärtnerei, Klinik u. a. Hatte bis zu 2000 Mitarbeiter.
- Sekem, gegründet durch Ibraim Aboulesh. 700 ha Wüstenland wurde in fruchtbare Oase verwandelt. Tausende Menschen haben sich angesiedelt
Kulturoasen heute
Die Bezeichnung Kulturoase wird heute auch von Initiativen verwendet, die sich um Kulturentwicklung in alternativen Sinn bemühen. Die Angebote umfassen Konzerte, Diskussionen, Themenabende, politische Arbeit, Filmvorführungen, Jugendtreffpunkte mit Café, Infoläden, Umsonstläden zur solidarischen Weitergabe von Kleidung etc.
Förderung von Kultur im alternativen Sinn
Beispiele (Auswahl):
- Das soziokulturelle Zentrum besteht seit 1995. Insbesondere die Begegnung zwischen Künstlern der bildenden Kunst und von Musikliebhabern finden hier ein Podium.[5]
- Kulturoase im Skulpturengarten, Nürnberg
- Angeboten werden Konzerte, Diskussionen, Themenabende etc.[6]
- Initiative Kulturoase, Karlsruhe
- Die Initiative, auch Neue Perspektiven hinterm Hauptbahnhof oder Ex-Steffi genannt, bietet Konzerte, politische Arbeit, Filme, Jugendtreffpunkt mit Café, Infoladen und einen Umsonstladen zur solidarischen Weitergabe von Kleidung an.[7]
- Verein Kulturoase e. V., Frankfurt
- Diese Kulturoase wurde im Jahr 2016 gegründet und setzt sich für ein friedliches und freies Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein. Es soll zur gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe von Migranten am gesellschaftlichen Leben beizutragen.[8]
- Perma-Kulturoase Sonneberg, Unterrohr (Österreich)
- Die Perma-Kulturoase bietet Selbstversorgung, Workshops, Alternative Energielösungen, permakulturelle Lebensraumgestaltung, Feiern und Mitmach-Tage an.[9]
Ökodörfer und Gemeinschaften
Unter der Bezeichnung „Ökodorf“ oder „Gemeinschaft“ wurden Initiativen gegründet, die sich nicht als Kulturoasen bezeichnen, aber Elemente der Idee von Rudolf Steiner aufgreifen und eine idealere, bessere Welt sowie ein menschengerechteres Miteinander fördern und umsetzen wollen.
Beispiele (Auswahl):
- Schloss Tempelhof, Kreßberg (Bayern)
- Schloss Tempelhof ist eine seit 2010 bestehende basisdemokratische Gemeinschaft und Ökosiedlung in Kreßberg.[10]
- Sieben Linden, Beetzendorf (Sachsen-Anhalt)
- Sieben Linden bezeichnet sich als Ökodorf und versteht sich als Modell- und Forschungsprojekt für eine zukunftsorientierte Lebensweise, in der Arbeit und Freizeit, Ökonomie und Ökologie, Individuum und Gemeinschaft, weltoffene und dörfliche Kultur in kleinen Lebenskreisen zu einem Gleichgewicht finden.[11]
- Weitere Links zu Ökodörfern:
- Siehe Artikel Schloss Tempelhof in Wikipedia, z. B. zu „Lebensgarten Steyerberg“ oder „Kommune Niederkaufungen“.
- evtl. zu Global Ecovillage Network (GEN) und zu GEN Deutschland (GEN D) verlinken
- Karte von Ökodörfern und Gemeinschaften
- Ökodörfer als Modelle gelebter Nachhaltigkeit
Gemeinschaftsbildende Maßnahmen finden in Ökodörfern und Gemeinschaften kaum durch die anthroposophische Form der Gemeinschaftsbildung statt, sondern sehr oft durch den sogenannten „Wir-Prozess“, einer Methode von Scott Peck.
Scott Pecks Definition von Gemeinschaft:
„Eine Gemeinschaft ist eine Gruppe von zwei oder mehr Menschen, die ungeachtet ihrer unterschiedlichen Herkunft in der Lage sind, ihre Unterschiede zu akzeptieren und zu überwinden, so dass sie offen und effektiv kommunizieren können und dabei ein Gefühl von ungewöhnlicher Sicherheit und ausserordentlichem Respekt füreinander haben.“
Personen, die sich für Kulturoasen einsetzen (Auswahl)
noch charakterisieren:
Michael Birnthaler
Rainer Kroll
Heinz Grill
Uwe Burka
Siehe auch
Wege zum Landwirtschaftlichen Kurs. In: anthroposophie.ch
Einzelnachweise
- ↑ Erinnerung von Wilhelm Rath 12 Tage, S. ??? oder ??? Johanna Gräfin von Keyserlingk: Zwölf Tage um Rudolf Steiner. Scheiffele, Stuttgart 1949, S. 70 ff.
- ↑ Aus dem Bericht von Johanna von Keyserlingk in der erwähnten Dokumentation des Pfingstimpulses von 1924
- ↑ Erinnerung von Wilhelm Rath, 12 Tage, S. ???
- ↑ Beleg suchen
- ↑ siehe art Kapella Schkeuditz
- ↑ siehe Kulturoasis e.V.
- ↑ siehe Initiative Kulturoase – Neue Perspektiven hinterm Hauptbahnhof
- ↑ siehe Kulturoase Frankfurt – Über uns
- ↑ siehe Perma-Kulturoase Sonneberg
- ↑ siehe Gemeinschaft Tempelhof
- ↑ siehe Sieben Linden
- ↑ Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck. Vision. In: schloss-hohenfels.de. Abgerufen am 25. Oktober 2024.
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